Heute mal wieder aus meiner Briefmarkensammlung. Die kleine Briefmarke aus der Reihe Provinzwappen, Frankreich, mit dem Wappen von Aunis, gelistet im Michelkatalog unter der Nummer 1030 hat die Nominale 3 Fr und zeigt dem Eindruck nach ein fettes Huhn im roten Wappenschild, nichts weiter an erklärendem Text. Neugierig, was ich gerne bin, probierte ich einmal mit Google Map etwas mehr über die Provinz Aunis zu erfahren. Das war, als Provinz nicht zu finden, wohl aber Aunis als ein von weiten Rebstockflächen umgebenes Weingut - sonst nichts weiter als Landschaft. Über den Namen war dann zunächst auch nur von Wikipedia zu erfahren, dass "Prieuré d'Aunis" bezieht sich auf ein Weingut an der Loire in Frankreich, das für seine Weine, insbesondere aus der Rebsorte Pineau d'Aunis, bekannt ist. Der Name leitet sich vom Kloster Prieuré d'Aunis bei Saumur ab. Pineau d'Aunis ist eine alte französische Rebsorte, die leichte, hellrote, frische Weine mit pfeffrigem Aroma hervorbringt, die sich gut für Rosé- und Schaumweine eignen. Der Ort Saumur wurde von Google Map gefunden und in dessen Weichbild findet sich dann auch das besagte Weingut. Ich erfuhr dort dann auch, dass es sich bei der Bezeichnung Prieure um ein historisches Priorat handelt, welchen offenbar so nicht mehr existiert. Immerhin bezeichnet Priorie eine zu einem größeren Kloster gehörende Niederlassung mit Kirchspiel und Wirtschaftsgebäuden. So erklärte sich mir dann auch die größere Hofanlage des Weingut. Es war verflüssigte französische Geschichte. Interessant was man so alles erfährt, wenn man sich etwas eingehender mit so einer kleinen unscheinbaren Briefmarke befasst.
Es ist wieder eine Geschichte aus der Geschichte.
Buchrettung Tanskript aus Köhlers Flottenkalender 1935, Seite 131 bis 134.
Gefertigt am 15.04.2025
Mit der Filmkamera durchs Wattenmeer.
Von Kurt Paslack, mit Aufnahmen des Verfassers.
Als Filmreporter einer Film-Wochenschau hatte ich die Aufgabe, einige Szenen von einer Postwagenfahrt durch das Wattenmeer nach der Elbinsel Neuwerk zu drehen. Die Insel Neuwerk in der Elbmündung liegt zehn Kilometer vom Festlande entfernt. Der Ausgangspunkt für die Wattüberquerung ist das Nordseebad Duhnen bei Cuxhaven. Hier traf ich mit zwei weiteren Reisebegleitern und meiner Filmapparatur ein. Vom Badestrand aus erblickten wir fern am Horizont über dem Wasser die kleine Insel, die unser Ziel sein sollte. Noch war an eine Wattüberquerung nicht zu denken, reichlich vier Stunden waren Zeit bis zum Eintritt der Ebbe. Die nutzte ich, um einige Erkundigungen über die Wandermöglichkeiten über das Watt zu erlangen. Ein dortiger Einwohner, um dessen Rat ich fragte, meinte, ich solle einen Wagen mieten und mich über das Watt übersetzen lassen, das sei die bequemste Art, nach Neuwerk zu kommen, aber damit war mir nicht gedient. Gerade die Wagen sollten bei der Durchquerung der Priele gefilmt werden. Von einer Fußwander- rung über das Watt riet er mir entschieden ab, zumal bei meinem Gepäck; ich hatte eine Film- und Photokamera, die ein Gewicht von rund fünfunddreißig Pfund besaß, außerdem mußte ich noch meine Kleidung im Rucksack unterbringen, in dem schon einige Wolldecken und Proviant verpackt waren. Mit solch einer schweren Last sei es sehr schwierig, die tiefen, mit Wasser angefüllten Priele zu durchqueren, zumal die Fußwanderung etwa drei Stunden dauere. Aber durch diese Auskunft ließ ich mich nicht abschrecken, ich beschloß, mit meinen Begleitern schon drei Stunden vor Ebbe die Wanderung anzutreten. Rechtzeitig, noch ehe die Wagen fuhren, mußte ich mit meiner Kamera schußbereit bei den Prielen stehen. Schwer beladen, aber nur mit Badezeug bekleidet, traten wir drei die Wanderung an. Einer meiner Begleiter hatte für diesen Gang, der durch große Wasserflächen führte, einen Stock mitgenommen, mit dem er von Zeit zu Zeit die Wassertiefe maß; so schritt er als Führer voran. Damit die Wagen und Wanderer nicht vom rechten Weg abirrten, war der Weg durch Strauchwerk gekennzeichnet. Alle fünfzig Meter stand ein Busch, und so war der ganze zehn Kilometer lange Weg bezeichnet. Vor uns lagen große, weite, feingerillte Sandflächen. Rechts und links erblickten wir schwarz-weiß leuchtende, lange Muschelbänke. Tausende von Seemöven kreischten und zankten sich um die fetten Leckerbissen, die beim ablaufenden Wasser auf dem Watt zurückblieben. Jetzt führte unser Weg durch weite und tiefe Wassersflächen, wir standen oft bis über die Hüften in dem Wasser. Das Vorwärtsschreiten gestaltete sich für uns immer schwieriger. Scharfkantige Muscheln bedeckten zahlreich den Grund und schnitten sich schmerzhaft in unsere Füße ein. Nach etwa anderthalb Stunden hatten wir den ersten Priel erreicht. Bis zur Brust im Wasser stehend, bereiteten wir die Aufnahme vor. Hinter uns erblickten wir die auskommenden Wagen. Es wehte eine westliche Brise, die das schnelle Ablaufen des Wassers hemmte, und so konnten wir mit interessanten Aufnahmen rechnen. Die ersten Wagen waren herangekommen. Einer der Wagen versuchte trotz des hohen Wasserstandes, die Priele zu durchfahren. Kaum war er mitten in dem Priel, als sich die Passagiere gezwungen sahen, auf ihre Sitze zu steigen, sonst hätten sie ein unfreiwilliges Fußbad genommen. Während dieses ganzen Vorganges kurbelte ich eifrig. Wenn die Fahrgäste einige Tage später im Kino sich in dieser Lage gesehen haben, werden sie wohl herzlich gelacht haben. Komisch und ulkig wirkte diese Szene. Bald darauf folgten die anderen Wagen, die ebenfalls im Bilde festgehalten wurden. Nun hieß es selbst die Priele durchqueren. Den Apparat trug ich dabei auf dem Kopf, während einer meiner Begleiter das Stativ in die Höhe hielt. Bis zum Hals im Wasser, so haben wir den Priel durchwandert. Bei den anderen Prielen dasselbe Manöver. Es sind im Ganzen deren drei; dann hatten wir wieder weite Sand – und Schlammflächen vor uns. Schon rückte die Insel Neuwerk, unser erstrebtes Ziel, heran. Nach dreistündiger Wanderung betraten wir, nass und frierend, die kleine Insel. Als erstes zogen wir unsere nassen Badeanzüge aus und trockenes Zeug an. Trocken und geborgen hielten wir kurze Rast. Rechtzeitig suchten wir unser Nachtquartier auf, denn der nächste Tag sollte uns noch viel Arbeit bringen. Am nächsten Morgen war unser Ziel das Wahrzeichen der Insel, der über 600 Jahre alte Leuchtturm, der im Jahre 1812 von der Freien Hansestadt Hamburg erbaut wurde. Er diente schon damals den Schiffen als treuer Wegweiser jahrhundertelang brannte auf ihm ein offenes Holzfeuer. Heute er in modernisiertem Zustande der älteste Leuchtturm der Welt, der sich noch im Betrieb befindet. Auch der Seeräuber Störtebecker bediente sich dieses Turmes, und oft hat er bei seinen Raubzügen hier Unterschlupf gefunden. Dieser Turm wurde von allen Seiten gefilmt. Unsere nächste Kamerabeute war der ,,Friedhof der Namenlosen“. Grün umrandet lag er am Fahr-Wege. In vierzehn Gräbern lagen hier die bei einer Wattwanderung ums Leben gekommenen oder bei einem Schiffbruch angespülten Menschen. Holzkreuze ohne Namensaufschrift schniückten die Grabhügel. Fast kam mir meine Arbeit an diesem stillen Ort, über dem ein inerkwürdiger Hauch von MeIancholie lag, wie eine Entweihung, wie ein unbefugtes Eindringen vor. Ich beeilte mich, mit den Aufnahmen fertig zu werden. Dann packte ich meine Geräte beiseite und gönnte mir noch eine Stunde ruhiger Beschaulichkeit auf einer Bank des Friedhofs. Allerlei Gedanken gingen mir durch den Sinn. Welche Gegen-sätze vereinte doch diese kleine Insel Neuwerk in sich! Einmal war sie die letzte Ruhestätte so manches wackeren Seemannes, den die brüllenden Wogen in einer Sturmnacht ans Ufer spülten, und auch manch aben-teuerlustiger Wanderer, der im Watt von der Flut überrascht worden war, schlief hier den letzten Schlaf. Dann beherbergte sie auch fröhliches Leben, denn in Neuwerk hat sich in den Ietzten Jahren ein lebhafter Badebetrieb entwickelt, und schließlich war ein Teil der Insel noch zum Vogelschutz-gebiet erklärt worden. In diesem Gebiet war ein ewiges Fliegen und Flattern, ein Kreischen, Pfeifen und Schreien, und unzählige, weißleuchtende Vogelkörper blitzten im Sonnenschein. Unsere Arbeit hier war beendet, und nun durften wir keine Zeit mehr verlieren. Bei Eintritt der Ebbe machten wir uns auf den Weg. Wieder kam die mühselige Wanderung durch die breiten und tiefen Wasserrinnen, die Priele, über die Sand- und Muschelbänke. Nach drei Stunden erreichten wir dann wieder das kleine Seebad Duhnen und damit das Festland. Nun konnten unsere Filme ihren weiteren Weg gehen, und es würde gar nicht lange dauern, bis die Kinobesucher unsere Wattenwanderung im Bilde sehen und mit erleben konnten. Ob sie dann wohl ahnten, wieviel Mühe uns dieser Film kostete?
Transkript Ende: Buchrettung
Die Arnfried war ein 1911 in Dienst gestellter Fracht-und Passagierdampfer der Hamburg-Bremer Afrika Linie, die zum Jahreswechsel 1925-1926 vom Norddeutschen Lloyd komplett, also mit Fahrplan- und Schiffen, übernommen wurde. Da das Schiff aber bereits vor dieser Übernahme bereits Arnfried hieß und in besagtem Liniendienst eingesetzt war, ist die zeitliche Einordnung in die Timeline der Datei Norddeutscher Lloyd nur eine ungefähre.
Transkript aus Köhlers Flottenkalender 1936, Seiten 106 bis 108.
Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes.
Von Dr. med. A. Heuberger.
Der Post- und Frachtdampfer Arnfried liegt in einem kleinen Hafen der liberianischen Küste, oder genauer gesagt, er liegt davor, weil er wegen der geringen Meerestiefe nicht herankommen kann, etwa einen Kilometer von der liberianischen Küste entfernt an einer Stelle, der gegenüber an Land einige Dutzend Negerhütten und ein paar europäisch aussehende Handelshäuser stehen. Die schwarzen Herren dieser „Stadt“ bemerken die Ankunft des Dampfers und suchen auf irgendeine Weise an Bord zu kommen: als Paddler in den Frachtbooten als Kokosnuss- und Ananasverkäufer, als Bleistiftträger des schwarzen Herrn Zollbeamten usw. Sechszig Mann schwarze Besatzung sind während der ganzen afrikanischen Küstenfahrt dauernd an Bord, als Verladearbeiter, als Wasch-männer und Reserveheizer. Einzelne etwas wohlhabendere schwarze Herren und Damen haben sich als Deckpassagiere eingenistet, um mit dem Schiff, als der einzigen Reisegelegenheit, ihre küstenaufwärts oder küstenabwärts wohnenden Verwandten zu besuchen; kurz gesagt, es fehlt nicht an schwarzem Gewimmel und Gekreische an Bord des Dampfers Arnfried.
Ein kleiner Raum im Mittelschiff ist Apotheke und zugleich ärztliches Sprechzimmer. An der verschlossenen Tür hängt ein Zettel; Dr. H.(euberger), Sprechstunde 9 bis 10, 4 bis 5. Ich komme um 9 Uhr, neugierig, was sich wieder für ein Sammelsurium von schwarzen Patienten eingefunden hat. --- „Oh, oh, Doktor, gib mir Medizin, oh, Doktor, gib mir Medizin zum Trinken, mir Medizin zum Essen, nein, mir allein Medizin“,
So schreien mir etwa ein Dutzend Schwarze in ihrem dürftigen Küsten-Englisch entgegen; dazu wird gedrängt, geschoben und geboxt um den vordersten Platz an der Sprechzimmertür, denn jeder will der Erste sein; ist es nicht gelungen, sich vorzukämpfem so versucht man das Mitleid des „Massa Doktor“ zu erregen, um möglichst rasch an die Reihe zu kommen.
,,Oh, Massa, ich bin der Kränkste von allen, ich bin very, very krank, laß mich zuerst herein, sonst bin ich tot!“ Dazu hält man sich den Bauch, krümmt sich und markiert eine weinerliche Stimme.
Einer ist so glücklich, als Erster dranzukommen.
„Was fehlt dir?“
„Oh, Massa, gib mir Medizin zum Trinken!“
„Sage oder zeige mir, wo du krank bist!“
„Eine Medizin zumTrinken!“
„Jetzt sage mir endlich, was dir fehlt!“
„Medizin für Trinken!“
„Hinaus mit dir, wenn du nicht sagen willst, was dir fehlt!“
„Oh, Massa, eine Medizin zum Trinken für meinen Fuß, mein Fuß ist krank!“
Er machte seinen Unterschenkel frei mit einem handtellergroße Tropengeschwür, dass ich ihm kunstgerecht verbinde; aber er bleibt unzufrieden, denn nur die Trinkmedizin hätte ihm geholfen.
Es kommt Patient Nr.2.
„Massa, gib mir Tablette!“
„Für was brauchst du eine Tablette?“
„Mein Kopf ist krank, very krank, gib mir Tablette!“
Ich gebe ihm eine Tablette Pyramidon, und freudestrahlend zieht er ab. Aber seine Freude währt nicht lange; einer seiner schwarzen Stammesgenossen hat die weiße Tablette in seiner Hand entdeckt und schon entreißt er sie dem Verblüfften; im nächsten Moment ist sie auch ihm entrissen, und ein Dritter hat sie sofort in seinem Mund in Sicherheit gebracht. Patient Nummer 2 weiß nicht, ob er heulen oder besser den Dieb verprügeln soll; er entschließt sich zu ersterem, denn das ist das Einfachere. Anstatt des nächsten schwarzen Patienten kommt der I.Offizier und erzählt, er habe eben im Kohlenbunker einen kranken Neger gefunden. Der arme Kerl, der sich wie ein verwundetes Tier verkrochen habe, müsse wohl sehr krank sein, denn Eiter tropfe aus seiner Hose.
Ich unterbreche meine Sprechstunde um den inzwischen an Deck geschafften, schwerkranken Schwarzen zu untersuchen. Nach Entfernung der zerfetzten und verschmutzten Kleidungsstücke sehe ich einen abgemagerten Neger vor mir, dessen linker Oberschenkel auf das zwei bis dreifache des normalen Umfanges angeschwollen ist und mehrere Fisteln zeigt, aus denen wie aus kleinen Brünnlein Eiter fließt. Voll Angst und doch ergeben wartet der arme Kerl der Dinge, die über ihn kommen sollen. Ich lasse ihn auf eine alte, frisch gewaschene Decke lagern; der Obersteward macht eine verhältnismäßig recht gute Narkose, 1. Offizier assistiert, und ich operiere, d. h. ich mache mit Messer und Schere dem in der Tiefe sitzenden Eiter Luft. Wohl an die hundert Neger bilden, in respektvoller Entfernung im Kreise herumstehend, die Wände dieses provisorischen Operationssaales, und doppelt so viele neugierige Negeraugen folgen gespannt jeder meiner Bewegungen. Kam in den nächsten Tagen einer dieser Schwarzen in meine Nähe, so ahmte er mit zwei Fingern eine schneidende Schere nach und rief mir zu: „Oh, Massa, oh, du machst es so! Oh, das ist nix gut für mich, Ich mag das nicht!“
Ich gehe in die Apotheke zurück, um meine unterbrochene Sprechstunde wieder auszunehmen. Fast alles hat sich inzwischen verlaufen, bzw. ob der gesehenen Dinge die eigenen Schmerzen ganz vergessen; nur noch ein verhältnismäßig gut gekleideter schwarzer Passagier wartet auf mich.
„Massa, bist du ein deutscher Doktor?“
„Ja!“.
„,Oh, Massa, ich weiß, die deutschen Doktors sind die besten Doktors auf der Welt.“
„Wer sagt dir das?“
„Das weiß ich; aber sag, Massa, bist du auch ein großer Doktor in deiner Heimat?“
„Selbstverständlich bin ich das!“
„Wieviel Frauen hast du?“
„Ich bin nicht verheiratet, ich habe keine Frau.“
„Was, du hast keine Frau und willst ein großer Mann sein? Oh, du bist kein großer Mann, du bist ein ganz, ganz kleiner Mann. Dann bin ich sogar noch ein größerer Mann als du, denn ich habe wenigstens drei Frauen.“
fährt er stolz in seiner Rede fort.
„Was? Du hast drei Frauen? Erzähltest du mir nicht gestern, daß du durch die Missionare getauft wurdest und ein Christ geworden bist? Und Christen dürfen doch nur eine Frau haben.“
„Du hast ganz recht, Massa, ich habe ja auch nur eine Frau geheiratet, die beiden anderen habe ich mir gekauft! Meine jüngste Frau hat immer Husten, kannst du mir geben Medizin für Husten?“
„Selbstverständlich, hier hast du Medizin, kostet einen Schilling.“
„,Oh, Massa, ich habe kein Geld, ich kann nicht bezahlen.“
„Dann kann ich dir die Medizin nicht geben.“
„Massa, sag noch eines, hast du Medizin für Feind, hast du Schießgewehr?“
„,Ja, ich habe eine Pistole.“
„Oh, verkauf’ mir, Massa, verkauf mir! Was kostet?“
„Das kannst du nicht bezahlen.“
„Oh, Massa, gib mir doch, ich lasse niemand sehen, und ich gebe dir 20 Pfund« (20 englische Pfund sind rund vierhundert Mark.)
Der falsche Kerl, der nicht einen Schilling für Medizin bezahlen wollte, streckt mir eine 20-Pfundnote hin. Ich
aber schiebe ihn sacht zur Tür hinaus. Schusswaffen an Eingeborene zu verkaufen, ist in ganz Afrika verboten und wird schwer bestraft. Die Sprechstunde ist für den Vormittag beendet, und ich bin neugierig, was mir der Nachmittag bringen wird.
Transkriptende. Buchrettung vom 23.01.2025Transkript aus Köhlers Flottenkalender 1936, Seiten 106 bis 108.
Im Köhlers Flottenkalender, Jahrbuch 1932, berichtet ein Offizier der Besatzung des Dampfers BORNEO (Norddeutscher Lloyd, Baujahr 1902) von einer überstandene Sturmfahrt, in einem Taifun in der China See. Der Bericht bezieht sich auf das Jahr 1911. Der Bericht ist, für mich nachvollziehbar hoch emotional, und atmet im Rückblick auf ein Geschehen 21 Jahre zuvor, eine gehörige Portion Altersmilde.
Transkript aus Köhlers Flottenkalender, Jahrbuch 1932
Taifun
Ein Sturmerlebnis in chinesischen Gewässern.
Von Georg Schulze-Altenburg
Am 10. Oktober 1911 passiert der kleine Küstendampfer Borneo (Bj.1902, 2168 BRT, Norddeutscher Lloyd) die felsige Einfahrt von Hongkong und steuert in das chinesische Meer hinaus. Das 2168 Tonnen große Schiff ist fast ohne Ladung. Dagegen hausen 200 Chinesen als Passagiere mit Frauen und Kindern, Gepäck und Hausrat eng beieinander im Zwischendeck. Das Deck- und Maschinenpersonal sind ebenfalls Chinesen. Nur der Kapitän, zwei Wachoffiziere und drei Maschinisten sind Europäer. Die Fahrt geht südwärts nach Britisch-Nord-Borneo. Sandakan soll in 5 Tagen erreicht werden. Lachender Sonnenschein, kein Wölkchen am Himmel, spiegelglatte See ringsum. Nichts deutet darauf hin, daß von Südosten her mit rasender Geschwindigkeit eine urgewaltige Naturkatastrophe heranbraust. Drinnen im Hafen aber ist jede Kreatur aufgepeitscht und wie besessen von dem einen Wort: Taifun! Droben vom Mast der Wetterwarte schreit seit Stunden mit magischer Gewalt das Signal: „Taifun“ - über der Nordspitze von Luzon - nordwestwärts ziehend. Wie ein teuflischer Dämon ist dieser Alarmruf in das friedliche Hafenbild gestürzt, hat es im Nu in ein einziges, wirbelndes, kreischendes, jagendes Chaos „Flucht“ verwandelt. Der harmlose Signalmast der Wetterwarte wird zur Hetzpeitsche. Jeder Dampfer muß zehnfach vertäut, jede Dschunke und jeder Sampan rechtzeitig in einer windgeschützten Bucht geborgen sein, ehe der Signalreihe „Taifun noch 5 Stunden“ – „noch 3 Stunden“ – „noch eine Stunde“ entfernt, der Kanonenschlag folgt: „Rette sich, wer kann!“
Und wir auf der Borneo: Wir glaubten dem Wettergott ein Schnippchen geschlagen zu haben. Beim Bekanntwerden der ersten Taifunmeldung in See gegangen, müssen wir nach menschlichem Ermessen beim Einsetzen des Unwetters bereits entronnen sein. Unbeschwert und stolz übernehme ich auf der Kommandobrücke die Wache, mein erster selbständiger Dienst als Wachoffizier in fremden Gewässern. Niemand an Bord ahnt, daß um dieselbe Stunde Hongkong aufatmet. Eine Laune des Schicksals hat die Bahn des Taifuns plötzlich um 90 Grad herumgeworfen. Weitab vom Hafen überquert er nun südwestwärts das chinesische Meer. Und während der Signalmast der Wetterwarte das seltene Ereignis beruhigend der Menschheit vermittelt, stellt man bei der Hafenbehörde achselzuckend fest: Die Borneo kann nicht mehr gewarnt werden. Sie ist bereits außer Signalweite. Ahnungslos steuern wir daher geradewegs dem Verderben entgegen. Wir hatten keine Funken-Telegraphie. In unserem Rücken verschwinden die letzten Felsspitzen der chinesischen Küste unter dem Horizont. Noch steht die Quecksilbersäule des Barometers ruhig und fest. Bald sinkt der Sonnenball in das Meer. Purpurne Flammen brennen am westlichen Himmel. Tiefe Stille ringsum. Schnurgerade zieht die Rauchfahne über unser Kielwasser und ballt sich in dicken, schwarzen Wolken hinter uns. Eintönig rauscht die Bugwelle. Langsam und feierlich zieht die hereinbrechende Nacht die milchigen Schleier der Dämmerung von Osten her hinweg. Majestätisch enthüllt sich in strahlender Klarheit die Ewigkeit der Sternenwelt. Das Barorneter steht.
Gegen Mitternacht erwacht aus tiefem Schlafe das Meer. In langen Intervallen, erst kaum spürbar, ganz allmählich zunehmend, rollt die Borneo nach Steuerbord über, richtet sich auf, neigt sich nach Backbord, gewiegt von langen, sanften, von Nordosten her anrollenden, Dünungswellen. Nun sind auch die Sterne droben verändert, unruhig geworden, wie die Tiere unruhig werden wenn etwas in der Luft liegt. Ein zitterndes Flimmern zerbricht das ruhige Strahlen des Firmaments. Doch das Barometer steht.
Der neue Morgen bringt eine leichte Brise mit. Die Wasserfläche belebt sich mit spielenden Wellen. Frau Sonne zieht, kaum der Tiefe entstiegen, einen zarten Schleier vor das leuchtende Antlitz. Das Barometer fällt!
Wenige Stunden später wissen wir: unsere Rechnung stimmt nicht. Statt uns mit jeder abgelaufenen Meile von der Gefahr zu entfernen, nähern wir uns dem Taifun mit zunehmender Deutlichkeit. Wir wissen nichts davon, daß er auf verändertem Kurs uns den Weg abschneiden will. Wir glauben ihn hinter uns und wollen ihm entrinnen. Die Maschine erhält die Anweisung, zu feuern, was die Kessel halten. Der stampfende Kolbentakt erreicht Höchstgeschwindigkeit. Stetig nimmt der Wind zu, ändert langsam seine Richtung linksherum. Leichte weiße Schaumkämme tanzen über das Wasser. Hier und da hüpft schon ein vorwitziger Spritzer über die Reeling. Immer rascher rollt das Schiff in der schwerer anlaufenden Dünung, immer tiefer holt es nach jeder Seite über. Einzelne Wolken tauchen am Himmel auf. Das Barometer fällt weiter!
Mittag ist vorüber. Vor den Kesseln wird Übermenschliches geleistet. Flucht! Flucht! donnern die Maschinen, rast die Schraube. Flucht, gejagt bäumt sich die Bugwelle am scharfen Vordersteven hoch und schäumt zischend an der Bordwand entlang. In den Lüften regiert schon dieAngst vor dem Kommenden. Angstvoll zerflatternd reißt der Rauch in Fetzen vom Schornsteinrand. Angst bricht auch in einzelnen Schreien aus dem stumpfen Volk, das in der drangvollen Enge des dumpfen Zwischendecks wehrlos ein Opfer der Seekrankheit wird. Das Barometer fällt rascher!
Die See wird gröber. Lange, schneeige Schaumstreifen gischten über das Wasser. Der Wind dreht in immer heftiger werdenden Böen sprunghaft linksherum. Die Wolken ballen sich schwarz und drohend am Himmel. Nur ab und zu blinkt die Sonne kraftlos milchig hindurch. An Deck herrscht fieberhafte Tätigkeit. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird gezurrt und gelascht. Der Schreibstift des Barographen hat bis jetzt eine sanft abfallende Kurve gezeichnet, nun fährt er fast senkrecht nach unten! Es fängt an zu regnen. Der Wind heult in den Wanten. Höher läuft die See. Aus den Schaumkronen werden Brecher. Klatschend schlagen sie gegen die Bordwand, springen über die Reeling an Deck. Um 4 Uhr nachmittags löse ich den ersten Offizier auf der Brücke ab. Er beeilt sich nach unten zu kommen, um noch ein letztes Mal alles auf Seefestigkeit zu prüfen. Ich bin allein auf der Brücke, die auf mehreren eisernen Säulen ruhend, hoch über dem Bootsdeck vor dem Schornstein das Schiff überragt. Der Mittelteil mit der Steuereinrichtung und den Kommandoapparaten wird von einem mit Segeltuch übernagelten Holzdach geschützt. Die vordere Reeling ist bis Brusthöhe ebenfalls mit Holz verschalt. Am Steuerrad steht der chinesische Vor-Mann. Der Wind ändert nicht mehr die Richtung. Die Böen haben sich zum Sturm entfaltet. Eine schwere Wolkendecke hängt tief herab, es regnet in Strömen. Schwer arbeitet das Schiff. See auf See jagt über das Deck. Dnnkler und dunkler wird es, um 5 Uhr ist tiefschwarze Nacht um mich. Der Barograph hat den denkbarsten Tiefstand erreicht. In wildem Zickzack malt er seltsame Zeichen auf das Papier. Heulender Orkan rast über die See. Donnernd prallen gigantische Wogen gegen die Bordwand, schießen steilauf gen Himmel, um im nächsten Augenblick tosend über uns zusammenzubrechen. Ungeheure Fluten rauschen über die Deck. Hochauf bäumt sich das Schiff. Der halbe Kiel taucht aus dem Wasser. Himmelan jagt der Bug. In der nächsten Sekunde stürzt er kopfüber mit jähem Ruck in ein Wellental. Nun ragt das Heck hoch in die Luft. Die Schraube, ihrem Element entrissen, geht rasend durch. Selbst die tiefschleppenden Wolken verwandeln sich in einen reißenden Wasserschwall. Ringsumher dampfender Gischt. Durch Brecher, Regen und Dunkelheit, leuchtet hie und da der rote und grüne Schein unserer Positionslaternen, wenn die See vor ihnen steil hochschießt, fiir mich in meiner Einsamkeit inmitten der entfesselten Elemente eine Quelle der Zuversicht. Längst haben wir die Geschwindigkeit auf langsame Fahrt herabsetzen müssen. Das Steuer ist hart nach Luv gelegt und festgezurrt, damit es den halb von Backbord vorn mit unbeschreiblicher Gewalt anrasenden Wellenbergen nicht gelingt das Schiff quer zur See zu werfen: eingeschlagene Ladeluken, Vollaufen der Räume, Überrollen und --- in wenigen Minuten wäre der Untergang besiegelt.
Das Fauchen und Johlen der Lüfte, das Krachen und Klatschen der Brecher, das Rauschen der überall flutenden Wassermassen betäubt die Ohren. Die Dunkelheit und der peitschende Regen verhindern jede Sicht. Allein, abgeschnitten von Welt und Zeit stehe ich taub und blind hoch über dem Schiff, ohne Ahnung, was auf und unter den Decks passiert, von den wilden, schleudernden aufwärtsfliegenden, zur Hölle abstürzenden Bewegungen des schwer kämpfenden Fahrzeugs phantastisch mitgerissen durch die Tobsucht der Natur. Plötzlich erhält die Borneo einen so gewaltigen Stoß, daß ich schwer auf das Deck hinschlage. Eine gigantische Wand wächst vor uns auf, bricht zusammen und begräbt das ganze Schiff unter sich. Mit Krachen und Splittern geht mein einziger Schutz, die Holzverkleidung der Brückenreeling in Trümmer. Überschüttet von brechenden Brettern, mitgeschwemmt von den Fluten schlage ich gegen das Steuerrad, klammere mich daran fest, richte mich auf - der Steurer ist verschwunden, von der See über Bord gerissen! An irgendwelche Rettungsversuche ist nicht zu denken. Ich kann nicht einmal das Steuerrad loslassen, ohne selbst über Bord zu gehen. Noch versuche ich, mich an der Steuersäule festzubinden, da rasen neue Wassermassen heran. Über mir splittert das Dach. Die durch das aufgenagelte Segeltuch zusammengehaltenen Trümmer verwickeln sich in die Leine, die zum Schornstein führt: Die Dampfpfeife heult auf, stimmt mit schauerlichem Klagen in das Höllenkonzert, unheimlich, nervenzerreißend. Immer lauter wird ihr Tönen, hebt sich über alle Stimmen der Natur, gebietet dem Orkan, zu schweigen, befiehlt den Seen den rasenden Ansturm zu zähmen, und - wahrhaftig es wird still um mich! Nur der Regen stürzt weiter vom Himmel, die aufgewühlte See kocht und brodelt ringsum, doch kein Sturmwind mehr jagt sie gegen das Schiff und darüber hinweg, wir sind im Zentrum des Taifuns. Grabesstille in den Lüften. Nur das laute, tiefe Heulen der Dampfpfeife füllt den weiten, in schwarze Nacht getauchten todes-schwangeren Weltenraum. Langsam löst sich der Krampf der Glieder. Auge und Ohr erwachen aus der Betäubung. Die verkrallten Hände öffnen sich. Ich richte mich auf und weite mit einem tiefen Atemzug die vom Orkan gepreßten Lungen. Ein Schatten taucht neben mir auf: der Kapitän.
Keine Zeit bleibt zum Fragen. Nur wenige Minuten Ruhe sind uns geschenkt. Bei dem schweren Schlingern des Schiffes gelingt es nur mit Mühe unseren vereinten Kräften, zwischen den umherschlagenden Trümmern des Daches die Leine der Dampfpfeife zu erfassen und durchzuschneiden. Das Heulen verstummt, welch eine Erlösung für Ohr, Nerven und Hirn! Ich melde kurz das Überbordgehen des Steuerers. Der Kapitän winkt ab: „Ist nicht das einzige Opfer. Vorläufig ist niemand abkömmlich. Steuern Sie selbst. Und betreten Sie die Brückenenden nicht mehr. Die Stützen sind losgerissen. Gleich wird es wieder losgehen. Ich werde unten dringend benötigt. Aushalten!“
Mit freundlich aufmunterndem Schlag auf meine Schulter verschwindet er. Könnte ich doch erfahren, wie es im Schiff aussieht. Was mag mit den Passagieren sein? Wen hat der Taifun schon verschlungen, und wen wird er noch holen? Wer weiß es? Vielleicht die ganze, brave Borneo und uns alle mit! Kaum 10 Minuten Atempause. Ein pfeifendes Johlen kündet das Ende der Ruhe. Ich schlinge mir schnell das Tau, mit dem das Steuerrad gezurrt ist, um den Leib, und schon sind wir wieder mitten in der Hölle des Orkans und schon reißen die ersten schweren Seen die letzten Trümmer des Brückendaches hinweg. Wo ist die Grenze geblieben zwischen den stürzenden Srömen der niederbrechenden Wolken und den alles überflutenden Meereswogen? Fast ununterbrochen bin ich nur von reißendem Wasser umgeben, minutenlang darunter begraben, kaum noch mit den Füßen auf festem Boden, meist ungewiß, ob denn das Schiff noch unter mir ist, oder ob ich allein auf abgerissener Brücke im Meere treibe. Immer lähmender liegt es auf meiner Brust, preßt mir die Kehle zu, will mich in die Kniee zwingen. Immer schwerer wird es mir den äußersten Willen zum Widerstand aufzubringen. Aber endlich, endlich, scheint auch die Natur zu erlahmen. Die Brecher verlieren an Wucht, schlagen bald nur noch vereinzelt bis zu mir herauf. Der Regen läßt nach. Die Wolkendecke zerreißt, einzelne Sterne blinken tröstlich. Der Lebensmut kehrt wieder. Das Schiff tobt nicht mehr als Spielball der Furien durch den Raum. Es nimmt wieder Fahrt auf. Ich kann mich von dem Tau befreien, zurre das Steuerrad los und bringe den Bug auf den richtigen Kurs. Heller und heller wird es. Die Lüfte beruhigen sich. Der Taifun zieht ab.
Eine Ewigkeit liegt hinter mir als der erste Offizier zur Ablösung erscheint, es ist 9 Uhr abends. Abgeschüttelt und vergessen aber ist das eben Erlebte, jetzt da ich höre und sehe was das Schiff, was die Besatzung, was die Passagiere, in den letzten Stunden durchlebt haben: Zunächst war alles in Ordnung gegangen. Angeklammert an ausgespannte Haltetaue machten mit kurzen Unter-brechungen der Kapitän und der erste Offizier immer wieder die Ronde über die überfluteten Decks. Um 5 Uhr nachmittags schlug das Wetter dem kämpfenden Schiff die ersten Wunden. Ein mächtiger Ventilator wurde von einem Brecher auf dem Vordeck losgerissen und in gewaltigem Schwung in die Fenster des Kartenhauses, das oben auf dem Bootsdeck steht, geschleudert. Die vordere Wand schlug durch, unendliche Wassermassen drangen ein und richteten unter den Seekarten, Chronometern, Sextanten ein wüstes Durcheinander an. Das meiste zur Navigation benötigte Material wurde unbrauchbar, vieles trieb auf und davon. Bald riß ein Boot aus den Krampen, schlug haltlos hin und her, zertrümmerte vollständig. Fast gleichzeitig brachen bei dem zweiten Luvboot die Taljen. Es wurde von der See mit ungeheurer Wucht gegen den hinteren Mast geschleudert, zerschmetterte einen der beiden Ladebäume und ging über Bord. Der niederstürzende Ladebaum durchschlug das festgeschalkte, dreifach mit geteerten Persenningen überzogene Ladeluk 4. Schon faßte der Orkan zu, fuhr behende unter den aufgerissenen Bezug, und nach wenigen Sekunden flogen die Fetzen knatternd durch die Luft. Jetzt war höchste Eile geboten. Die nächsten Minuten entschieden über unser Schicksal. Gelang es nicht, eine neue Persenning über das Luk zu spannen, bevor die rasende See die Lukendeckel erfaßte und hinwegriß, dann lief der Schiffsraum voll und der Untergang war da. Zu allem Unglück lagen die 200 Passagiere gerade unter diesem Luk im Zwischendeck, wimmernd und stöhnend, mit ihrem Gepäck und ihrem Hausrat durcheinanderrollend in der bestialischen Luft des abgeschlossenen Raumes über alle Maßen seekrank, nun auch völlig durchnäßt und überschwemmt von dem eingedrungenen Wasser. Unter dem anfeuernden Beispiel der Offiziere leistete die Mannschaft Übermenschliches. In wenigen Minuten war das Luk gedichtet. Nun hinauf zum Kartenhaus. Oben auf dem Bootsdeck mußten die Leute einen furchtbaren Kampf mit dem tobenden Orkan bestehen. Fünf der Mutigsten drangen bis zur Mitte vor, da donnerte eine alle bisherigen an furchtbarer Wucht übertreffende Sturzsee heran, durchschlug das Maschinenoberlicht und riß die fünf Menschlein mit sich hinaus in den Höllenrachen der Finsternis. Ungeheure Wassermengen stürzten in den Maschinenraum hinab, jagten in gewaltigem Strome in den Heizraum, warfen die überraschten Heizer gegen die Schotten, über die Kohlenhaufen, gegen die Kesseltüren. Im Hilfsmaschinenraum ertrank die Lichtmaschine. Nacht wurde es mit einem Schlage auch in den Innenräumen. Wer dachte in diesem Augenblick an die armen Passagiere? Nicht die Offiziere, die um die Rettung aller rangen, nicht die Maschinisten, die nun die Pumpen, die Kessel, die Maschine allein bedienen mußten, weil die wenigen nicht verletzten Heizer vor Entsetzen völlig versagten. Niemand dachte daran, daß zu allen Qualen und aller Not im Zwischendeck, zu der Seekrankheit, dem schmerzhaften Herumgeworfenwerden mit dem plötzlichen Erlöschen des Lichtes nun das Grauen kam. Eine furchtbare Panik brach aus unter den Passagieren. In dem irrsinnigen Trieb, dem Raum des Schreckens zu entfliehen, hoben die Tollgewordenen einige Lukendeckel vom unteren Laderaum ab. Neun Meter tief gähnte der leere Bauch des Schiffes. Gierig schlang er die Opfer, die in dem entfesselten Toben aus dem Zwischendeck zu ihm in dieTiefe stürzten!
Die Nacht ist vorüber. Vorbei der Taifun. Sonnenschein lacht vom Himmel. Kein Wölkchen trübt das klare Blau, glatte See atmet ruhig mit langer Düuung. Die Flagge sinkt auf halbmast. Die Maschine stoppt. Fünfundzwanzig Leichen übergeben wir dem chinesischen Meer! Die Luft ist erfüllt von wirbelnden, tanzenden Papierblättchen, Briefe, den toten Chinesen von ihren Landsleuten zur Fahrt ins Jenseits mitgegeben. Schon quirlt wieder das Schraubenwasser empor und die Arbeit ruft. Die Flagge steigt, flattert lebensbejahend im Winde. Ich halte immer noch die Mütze in der Hand und schaue dorthin, wo sich im wirbelnden Kielwasser die See über denen geschlossen hat, die von uns gegangen sind.
Transkriptende. Buchrettung am 21.01.2025
Dieser kleine Artikel stammt aus dem Köhlers Flottenkalender Jahrgang 1936. Er beschreibt den winterlichen Alltag auf den Nordseeinseln; besonders im Hinblick auf die als Seebäder bekannten Inseln vor den deutschen Küsten.* Transkript aus Köhlers Flottenkalender 1936, ab S.85 bis 88
Was treiben die Insulaner im Winter?
Von Cornelius Scharphuis, Borkum
Es ist nicht etwa die derbe Lust, alles zu kritisieren, auch nicht gar der Drang es möglichst auszuposaunen, der mich trieb einmal der Frage nach der Winter-Beschäftigung unserer Inselbewohner nachzugehen, es ist vielmehr das Bedürfnis den sommerlichen Gästen unserer Nordseeinseln ein Bild zu geben von dem unermüdlichen Schaffen und Streben der Inselbewohner und sie von dem Wert des im Sommer Gebotenen und der Berechtigung der sich daraus ergebenden Forderungen zu überzeugen.
,,Na, denn man tau“, rufe ich allen Neugierigen zu, die während des Sommers bald hier und bald da an einen herantreten mit der Frage: „Ja, aber sagen Sie mal, was machen Sie eigentlich den ganzen lieben Winter? Ich denke mir das schauderhaft. Sie liegen wohl den ganzen Tag zu Bett?“ Ja, das klingt doch ungefähr so, als wenn die Wörtchen Arbeit und Winter überhaupt aus dem Wörterverzeichnis der Inselbewohner gestrichen wäre! Deshalb wird der Gefragte im ersten Augenblick ein wenig geistreiches Gesicht machen ob solcher Frage und dann eine ungenügende und wenig befriedigende Antwor geben.
Ein Witzbold sagt wohl sogar einmal in trockenem Tone: „Was wir machen? Nun, wir lassen uns einen Vollbart stehen.“ Oder ähnliche geistreiche Antworten, so daß der Fragesteller dann genau so klug ist wie vorher. Diese Neugierde will ich nun, zumal sie nicht so unberechtigt ist, nach bestem Vermögen befriedigen. Kaum einer von denen, die zur schönen Sommerzeit den starken Fremdenverkehr auf unseren Nordsee-Inseln beobachtet haben kann sich vorstellen, wie die vom bunten Gewühl der Gäste durchfluteten Inseldörfer nach den Ferienmonaten dastehen, leer und ausgestorben.
Doch wie schon dieser Gedanke auf den nachdenkenden Fremdling einen eigentümlichen und beinahe schauerlichen Eindruck macht, umsomehr befällt es auch den Insulaner selbst, wenn nach Schluß der Saison ein Kurgast nach dem andern den Koffer packt und die Sommerladenmieter, die sogenannten Budenleute oder Einjahrsfliegen (weil sie oft schon im nächsten Jahre nicht wiederkommen) ihre Geschäfte schließen. Still und stiller wird es auf der Insel, und wenn gegen Ende September auch das Personal zum größeren Teil wieder zum Festland gewandert ist, dann fängt für den Insulaner schon der eigentliche Winter an. Dann ist er, zumal bei den unregelmässigeren und selteneren Verbindungen mit dem Festland, und erst recht, wenn eine solche bei ungünstiger Witterung überhaupt unmöglich wird, sozusagen von der Außenwelt abgeschnitten und nur auf sich selbst angewiesen.
Um diese Zeit, wenn die ersten Stürme wieder über die Eilande dahinbrausen und das wogende Meer gegen Dünen und Steindämme brandet, in dieser Zeit, wo an schönen Herbsttagen strahlende Sonne auf Dünen und Meer herniederleuchtet und die ganze Natur Ruhe atmet, dann beginnt der Inselbewohner sich wieder auf sich zu besinnen. Nach den vielen Leckerbissen der Saison sehnt sich jeder wieder nach einem deftigen Pottessen; all der während der Saison angelegte formelle Zwang fliegt über Bord und zu Tage kommt die urfriesische Natur der meisten Inselbewohner, die in der gemütlich-derben Art ihrer plattdeutschen Muttersprache alles gerade heraussagt und selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Tagsüber während der Arbeitszeit werden nicht viele Worte verloren, so daß der Insulaner von vielen Festländern für unfreundlich und sogar unhöflich gehalten wird. Dies muß jedoch, wenigstens in dieser Verallgemeinerung als Irrtum zurückgewiesen werden, und jeder genauere Kenner der Verhältnisse wird bestätigen können daß bei den Insulanern, wie überhaupt beim Friesenvolk, ein kurzer Gruß oder ein Kopfnicken oft viel mehr Freundlichkeit und Achtung ausdrücken als ein umschweifiges Begrüßen und Hutabnehmen bei manchem Binnenländer. Doch auch die Menge der zu erledigenden Arbeiten läßt den fleißigen Leuten keine Zeit zu langen Gesprächen und für Zeitvergeudung. Dafür sind die langen Abende da, die mit geselliger Unterhaltung im Familienkreise ausgefüllt werden und so leicht keine Langeweile aufkommen lassen. Gefördert wird die Geselligkeit noch durch die infolge der starken gegenseitigen Verschwägerung bestehenden ausgedehnten Verwandtschaften, da sich ein jeder verpflichtet fühlt, den andern gelegentlich zu besuchen oder einzuladen.
Ist der Inselbewohner auch schwer für allgemeine Angelegenheiten zu begeistern, so ist er umso mehr auf die Neugestaltung und Verbesserung des eigenen Betriebes bedacht. Was sich im letzten Sommer als unpraktisch oder unzweckmäßig erwiesen hat, wird nach bestem Können umgeändert und verbessert, und auch sonst wird keine Ausgabe gescheut um das Haus rentabler und für die Gäste bequemer zu gestalten. Kurz und gut, das ganze Denken und Trachten stellt sich schon auf die kommende Saison ein, wenn die letzte erst kaum vorüber ist.
Es gibt viele Festländer die den Insulaner um sein sorgenfreies Leben im Winter beneiden, sie ahnen nicht welch ein sorgenreiches Leben auf den Inseln gerade zur Winterszeit herrscht. Ganz gleich ob die Saison gut oder schlecht war, immer drängt sich wieder die bange Frage auf, wie sich die nächste gestalten wird.
Auf alle Fälle muß mit dem erübrigten Gelde so disponiert werden, daß man nicht aufs Trockene gerät. Besonders schwierig ist es für die Einwohner unserer Nordseebäder die lediglich auf den Verdienst der 8 bis10 Wochen im Jahr angewiesen sind. Von ihrem in saurer Arbeit erkämpften Gelde müssen sie bis zur nächsten Saison auskommen, d. h. einmal sich und ihre Familie ernähren, ferner ihre Häuser in Stand halten und endlich noch ihre Steuern bezahlen. Die vielen wirtschaftlichen Nöte und geschäftlichen Sorgen beeinträchtigen jedoch nicht das Bedürfnis nach gelegentlicher Ablenkung. Daher erklärt sich auch das ausgeprägte Vereinswesen auf unseren Inseln, dass die Geselligkeit während der Wintermonate sehr pflegt.
Im eigentlichen Winter bildet die Jagd auf Hasen, Kaninchen und fliegendes Getier eine beliebte Beschäftigung der Einheimischen, wobei sie teils als rechtmäßige Jäger, teils als ,,Kanintjegravers“ wie die Wilderer, die es hier und da geben soll, genannt werden, dem edlen Waidwerk huldigen Bei stürmischem Wetter ziehen viele an den Strand, um nach urväterweise die vom Meer angeschwemmten Schätze zu bergen. Der Sturm verlangt aber auch bei gewissen Gelegenheiten Aufopferung und Selbstlosigkeit dem Nächsten gegenüber; so bei Feuer- und Wassernot, oder wenn arme Seeleute in Sturm und Wellen aufs Riff getrieben werden und Hilfe erbitten. In solchen Fällen werden sich alle mehr denn je ihrer Schicksalsgemeinschaft bewusst und mit zäher Ausdauer, die eine Haupttugend der Friesen ist, wird unter Hintansetzung des eigenen Lebens der Kampf gegen die Elemente aufgenommen. Doch auch zu frisch-fröhlichem Sport bietet der Winter in reichem Maße Gelegenheit. Da ist vor allem das in ganz Friesland bekannte und beliebte „Klootschießen“, das aber frostiges Wetter und steinhart gefrorenen Boden erfordert. Dabei wird eine schwere mit Blei ausgegossene Holzkugel von zwei Parteien auf einer mehrere Kilometer langen Bahn mit kräftigem Schwunge über den Boden geworfen. Dabei geht es reihum, und diejenige Partei ist Sieger, der es zuerst gelingt, ihre Kugel durchs Ziel zu schleudern.
Andere wieder vergnügen sich auf den zwischen den Dünen gelegenen Wasserdellen mit Schlittschuhlaufen, entweder paarweise oder in „Steertjes“, langen, hintereinander gekoppelten Ketten von Schlittschuhläufern. Am Ende der Bahn hält einer den vorderen Läufer fest und die ganze Schar schwenkt in sausendem Bogen herum, wobei viele unfreiwilligerweise die Bahn fegen müssen, das heißt zu Fall kommen. Auch die mit Schnee bedeckten Dünen, die wie fernes Hochgebirge im Sonnenlichte glänzen, bieten dem jungen Volk ein erstklassiges Gelände zum Schlittenfahren.
Für die Hausfrau gibt es im Winter Arbeit in Fülle. Da stehen noch die großen Schränke voll Gardinen und Bettwäsche, die in der Saison nicht unerheblich leiden und deshalb nachgesehen werden müssen; da sind die lieben Familienangehörigen, die dringend warme Wintersachen benötigen. Auch der Haushalt muß wahrgenommen werden, all die Wäsche gewaschen werden und noch so vieles mehr; also von Arbeitsmangel keine Spur! Doch auch in ihrer Mussezeit ist die Hausfrau keineswegs untätig, sondern beschäftigt mit Stricken und sonstigen Handarbeiten für die Ihren. An gewissen Abenden der Woche kommen auch wohl Geschwister und sonstige gute Bekannte zu einem Tee- oder Kränzchen-Abend zusammen, wo bei einem guten „Koppke Tee mit einem dicken Kluntje“ allerhand Neuigkeiten erörtert und besprochen werden. Der Tee ist besonders das ostfriesische Nationalgetränk und wird mit einem Löffel „Rohm“ (Sahne) und einem ,,Kluntje“ (Kandis) in „Koppkes“ (dünnen Porzellantassen) serviert.
Der tägliche Besorgungsgang führt gegen Abend in die gewohnten Läden, wo dann meist noch ein bißchen geklönt und der übliche Dorfklatsch vorgenommen wird, und nach dem Abendbrot, wenn zufällig kein Besuch anwesend oder zu erwarten ist, geht es früh in die Koje (Bett), und nur der Wind singt sein eintöniges Lied dazu.
So geht der Winter unter Ernst und Scherz wie im Fluge dahin und bald kündet auch das Keimen und Sprossen in der Natur dem Inselbewohner den Wiederbeginn seiner sommerlichen Tätigkeit an. Zum sogenannten ,,Großreinemachen“, das in jedem Frühjahr stattfindet, trifft schon wieder viel Personal vom Festland ein, so das in kürzester Zeit wieder ein geschäftiges Leben und Treiben allerorts herrscht. Da wird geschrubbt und gelüftet, Betten werden geklopft, die Häuser von außen und innen gestrichen und lackiert, wobei man auch viele Frauen mit Farbtopf und Pinsel sieht. Zuletzt werden auch noch die Straßen gereinigt und schon die ersten Gäste können mit Befriedigung feststellen, daß die Insel in alter Frische bereit ist zu neuen Augen.
Transkriptende. Buchrettung