Ephemera sind Zeitblitze der Vergangenheit in Text und Bild. Je mehr Sie davon kennenlernen, umso größer wird das Verständnis für Vergangenheit und Gegenwart.

Ephemera

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Ap
Mit der Kamera durch das Wattenmeer.
15.04.2025 15:04

Es ist wieder eine Geschichte aus der Geschichte.

Buchrettung Tanskript aus Köhlers Flottenkalender 1935, Seite 131 bis 134.

Gefertigt am 15.04.2025

                                    Mit der Filmkamera durchs Wattenmeer.

                                           Von Kurt Paslack, mit Aufnahmen des Verfassers.

Als Filmreporter einer Film-Wochenschau hatte ich die Aufgabe, einige Szenen von einer Postwagenfahrt durch das Wattenmeer nach der Elbinsel Neuwerk zu drehen. Die Insel Neuwerk in der Elbmündung liegt zehn Kilometer vom Festlande entfernt. Der Ausgangspunkt für die Wattüberquerung ist das Nordseebad Duhnen bei Cuxhaven. Hier traf ich mit zwei weiteren Reisebegleitern und meiner Filmapparatur ein. Vom Badestrand aus erblickten wir fern am Horizont über dem Wasser die kleine Insel, die unser Ziel sein sollte. Noch war an eine Wattüberquerung nicht zu denken, reichlich vier Stunden waren Zeit bis zum Eintritt der Ebbe. Die nutzte ich, um einige Erkundigungen über die Wandermöglichkeiten über das Watt zu erlangen. Ein dortiger Einwohner, um dessen Rat ich fragte, meinte, ich solle einen Wagen mieten und mich über das Watt übersetzen lassen, das sei die bequemste Art, nach Neuwerk zu kommen, aber damit war mir nicht gedient. Gerade die Wagen sollten bei der Durchquerung der Priele gefilmt werden. Von einer Fußwander- rung über das Watt riet er mir entschieden ab, zumal bei meinem Gepäck; ich hatte eine Film- und Photokamera, die ein Gewicht von rund fünfunddreißig Pfund besaß, außerdem mußte ich noch meine Kleidung im Rucksack unterbringen, in dem schon einige Wolldecken und Proviant verpackt waren. Mit solch einer schweren Last sei es sehr schwierig, die tiefen, mit Wasser angefüllten Priele zu durchqueren, zumal die Fußwanderung etwa drei Stunden dauere. Aber durch diese Auskunft ließ ich mich nicht abschrecken, ich beschloß, mit meinen Begleitern schon drei Stunden vor Ebbe die Wanderung anzutreten. Rechtzeitig, noch ehe die Wagen fuhren, mußte ich mit meiner Kamera schußbereit bei den Prielen stehen. Schwer beladen, aber nur mit Badezeug bekleidet, traten wir drei die Wanderung an. Einer meiner Begleiter hatte für diesen Gang, der durch große Wasserflächen führte, einen Stock mitgenommen, mit dem er von Zeit zu Zeit die Wassertiefe maß; so schritt er als Führer voran. Damit die Wagen und Wanderer nicht vom rechten Weg  abirrten, war der Weg durch Strauchwerk gekennzeichnet. Alle fünfzig Meter stand ein Busch, und so war der ganze zehn Kilometer lange Weg bezeichnet. Vor uns lagen große, weite, feingerillte Sandflächen. Rechts und links erblickten wir schwarz-weiß leuchtende, lange Muschelbänke. Tausende von Seemöven kreischten und zankten sich um die fetten Leckerbissen, die beim ablaufenden Wasser auf dem Watt zurückblieben. Jetzt führte unser Weg durch weite und tiefe Wassersflächen, wir standen oft bis über die Hüften in dem Wasser. Das Vorwärtsschreiten gestaltete sich für uns immer schwieriger. Scharfkantige Muscheln bedeckten zahlreich den Grund und schnitten sich schmerzhaft in unsere Füße ein. Nach etwa anderthalb Stunden hatten wir den ersten Priel erreicht. Bis zur Brust im Wasser stehend, bereiteten wir die Aufnahme vor. Hinter uns erblickten wir die auskommenden Wagen. Es wehte eine westliche Brise, die das schnelle Ablaufen des Wassers hemmte, und so konnten wir mit interessanten Aufnahmen rechnen. Die ersten Wagen waren herangekommen. Einer der Wagen versuchte trotz des hohen Wasserstandes, die Priele zu durchfahren. Kaum war er mitten in dem Priel, als sich die Passagiere gezwungen sahen, auf ihre Sitze zu steigen, sonst hätten sie ein unfreiwilliges Fußbad genommen. Während dieses ganzen Vorganges kurbelte ich eifrig. Wenn die Fahrgäste einige Tage später im Kino sich in dieser Lage gesehen haben, werden sie wohl herzlich gelacht haben. Komisch und ulkig wirkte diese Szene. Bald darauf folgten die anderen Wagen, die ebenfalls im Bilde festgehalten wurden. Nun hieß es selbst die Priele durchqueren. Den Apparat trug ich dabei auf dem Kopf, während einer meiner Begleiter das Stativ in die Höhe hielt. Bis zum Hals im Wasser, so haben wir den Priel durchwandert. Bei den anderen Prielen dasselbe Manöver. Es sind im Ganzen deren drei; dann hatten wir wieder weite Sand – und Schlammflächen vor uns. Schon rückte die Insel Neuwerk, unser erstrebtes Ziel, heran. Nach dreistündiger Wanderung betraten wir, nass und frierend, die kleine Insel. Als erstes zogen wir unsere nassen Badeanzüge aus und trockenes Zeug an. Trocken und geborgen hielten wir kurze Rast. Rechtzeitig suchten wir unser Nachtquartier auf, denn der nächste Tag sollte uns noch viel Arbeit bringen. Am nächsten Morgen war unser Ziel das Wahrzeichen der Insel, der über 600 Jahre alte Leuchtturm, der im Jahre 1812 von der Freien Hansestadt Hamburg erbaut wurde. Er diente schon damals den Schiffen als treuer Wegweiser jahrhundertelang brannte auf ihm ein offenes Holzfeuer. Heute er in modernisiertem Zustande der älteste Leuchtturm der Welt, der sich noch im Betrieb befindet. Auch der Seeräuber Störtebecker bediente sich dieses Turmes, und oft hat er bei seinen Raubzügen hier Unterschlupf gefunden. Dieser Turm wurde von allen Seiten gefilmt. Unsere nächste Kamerabeute war der ,,Friedhof der Namenlosen“. Grün umrandet lag er am Fahr-Wege. In vierzehn Gräbern lagen hier die bei einer Wattwanderung ums Leben gekommenen oder bei einem Schiffbruch angespülten Menschen. Holzkreuze ohne Namensaufschrift schniückten die Grabhügel. Fast kam mir meine Arbeit an diesem stillen Ort, über dem ein inerkwürdiger Hauch von MeIancholie lag, wie eine Entweihung, wie ein unbefugtes Eindringen vor. Ich beeilte mich, mit den Aufnahmen fertig zu werden. Dann packte ich meine Geräte beiseite und gönnte mir noch eine Stunde ruhiger Beschaulichkeit auf einer Bank des Friedhofs. Allerlei Gedanken gingen mir durch den Sinn. Welche Gegen-sätze vereinte doch diese kleine Insel Neuwerk in sich!  Einmal war sie die letzte Ruhestätte so manches wackeren Seemannes, den die brüllenden Wogen in einer Sturmnacht ans Ufer spülten, und auch manch aben-teuerlustiger Wanderer, der im Watt von der Flut überrascht worden war, schlief hier den letzten Schlaf. Dann beherbergte sie auch fröhliches Leben, denn in Neuwerk hat sich in den Ietzten Jahren ein lebhafter Badebetrieb entwickelt, und schließlich war ein Teil der Insel noch zum Vogelschutz-gebiet erklärt worden. In diesem Gebiet war ein ewiges Fliegen und Flattern, ein Kreischen, Pfeifen und Schreien, und unzählige, weißleuchtende Vogelkörper blitzten im Sonnenschein. Unsere Arbeit hier war beendet, und nun durften wir keine Zeit mehr verlieren. Bei Eintritt der Ebbe machten wir uns auf den Weg. Wieder kam die mühselige Wanderung durch die breiten und tiefen Wasserrinnen, die Priele, über die Sand- und Muschelbänke.  Nach drei Stunden erreichten wir dann wieder das kleine Seebad Duhnen und damit das Festland. Nun konnten unsere Filme ihren weiteren Weg gehen, und es würde gar nicht lange dauern, bis die Kinobesucher unsere Wattenwanderung im Bilde sehen und mit erleben konnten. Ob sie dann wohl ahnten, wieviel Mühe uns dieser Film kostete?

Transkript Ende: Buchrettung

 

 

 

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